16. Schulrechtsänderungsgesetz und Datenschutz

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Am 23. Februar 2022 wurde das Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der Eigenverantwortung von Schulen (16. Schulrechtsänderungsgesetz) vom Landtag NRW verabschiedet und damit unmittelbar wirksam. Es enthält auch Änderungen, welche das Thema Datenschutz betreffen und sehr weitreichende Auswirkungen auf die Nutzung digitaler Medien im Unterricht haben werden. Das gilt vor allem mit Blick auf die verpflichtende Nutzung von unterrichtlich genutzten Plattformen, einschließlich Videokonferenz Plattformen.

Auch schon vor dieser Gesetzesänderung war es in NRW durchaus möglich, die Verarbeitung von personenbezogenen Daten bei der Nutzung von unterrichtlich eingesetzten Plattformen zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages auf das Schulgesetz NRW und die VO-DV I & II in Verbindung mit den höherrangigen Rechtsnormen zu stützen. Die personenbezogenen Daten von Schülerinnen und Schülern und Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Personal an den ZfsL, Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern und Lehrkräften in Ausbildung betreffend, erfolgte dieses durch Hinzuziehung von Art. 6 Abs. 1 lit. e und Abs. 3 lit. b DS-GVO, und die Verarbeitung der personenbezogenen Daten von Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern betreffend, erfolgte dieses unter Hinzuziehung von.  Art. 6 Abs. 1 lit. e und Abs. 3 lit. b DS-GVO in Verbindung mit § 3 Abs. 1 DSG NRW. Eine Einwilligung in die Verarbeitung von personenbezogenen Daten war damit, soweit sie die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages betraf, nicht erforderlich. Auch eine verpflichtende Nutzung war bereits möglich und wurde so beispielsweise vom MSB im Verlauf der Pandemie kommuniziert, als es um die Nutzung von Videokonferenz Plattformen durch Lehrkräfte zur Erteilung von Distanzunterricht ging. Ob Schüler und Lehrkräfte im Einzelfall während der Pandemie tatsächlich zu einer Nutzung verpflichtet werden konnten, hing jedoch wesentlich von weiteren Faktoren ab, etwa der Verfügbarkeit von von der Schule bereitgestellten Schülergeräten und Dienstgeräten für Lehrkräfte.1Weitere Faktoren waren die DS-GVO Konformität der Plattform, um die es ging, und ob die Plattform zur Aktivierung des Kontos eine datenschutzrechtliche Einwilligung zwingend voraussetzt oder nicht. Im Fall von Logineo NRW war und ist die Freiwilligkeit der Nutzung zusätzlich durch eine Dienstvereinbarung festgeschrieben und schließt damit eine verpflichtende Nutzung aus. Ausgenommen von der Verarbeitung auf der beschriebenen Rechtsgrundlage sind freiwillig von den Betroffenen bereitgestellte Nutzungsdaten. Ihre Verarbeitung durch die Schule setzt deshalb eine Einwilligung voraus.2 Ein Blick auf die Datenschutzerklärung von Logineo NRW mit Stand vom 19.08.2020 zeigt, dass man dort genau diesem Ansatz folgt und bei den angegebenen Rechtsgrundlagen entsprechend differenziert.

Spätestens der Distanzunterrichts mittels digitaler Plattformen in der Pandemiezeit seit Frühjahr 2020 machte allen Beteiligten deutlich, dass dem Schulgesetz NRW genau an dieser Stelle bereichsspezifische konkrete datenschutzrechtliche Regelungen fehlten. Mit dem 16. Schulrechtsänderungsgesetz hat das Land NRW reagiert und im Schulgesetz NRW eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten bei der Nutzung digitaler Plattformen zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags geschaffen. Dafür wurden eine Konkretisierung auf zwei Kategorien von Plattformtypen vorgenommen und der rechtliche Rahmen für eine verpflichtende Nutzung gesetzt. Ergänzend hierzu wurde in § 2 Abs. 1 Satz 3 VO-DV I die Verarbeitung von Protokolldaten geregelt.

Die folgenden Änderungen bzw. Ergänzungen wurden bezüglich der Nutzung von digitalen Plattformen in der Schule vorgenommen.

§ 8 SchulG NRW

Auch wenn die Änderung von § 8 SchulG NRW nicht schulisches Datenschutzrecht betrifft, wird diese hier erwähnt, da sie die Grundlagen für die in den §§ 120 und 121 vorgenommenen datenschutzrechtlichen Änderungen legt. Die Änderungen in § 8 SchulG NRW betreffen die Überschrift, die erweitert wurde, und einen neuen Absatz 2.3Der bisherige Absatz 2 wurde dadurch zu Absatz 3.

§ 8
Unterrichtszeit, Unterrichtsorganisation, Digitalisierung
(1) Der Unterricht wird als Vollzeitunterricht in der Regel an wöchentlich fünf Tagen erteilt. Über Ausnahmen entscheidet die Schulkonferenz im Einvernehmen mit dem Schulträger.
(2) Zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags kann die Schule bereitgestellte Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen in digitaler Form nutzen.

Mit dem Hinzufügen des Wortes “Digitalisierung” in der Überschrift möchte man die Digitalisierung der Schulen als “ein wichtiges Ziel bildungspolitischen Handelns der Landesregierung” im Schulgesetz festschreiben. Das MSB bezeichnet dieses als einen “ersten programmatischen Schritt, mit welchem man “einen normativen Bezug für die „Digitalstrategie Schule“4siehe Erläuterungen im Gesetzesentwurf vom 09.12.2021 schafft. Wesentlich wichtiger als diese politische Willenserklärung in Form einer Überschrift ist dann jedoch die mit Abs. 2 geschaffene Rechtsnorm, da hiermit der schulische Einsatz digitaler Lehr- und Lernsysteme sowie digitaler Arbeits- und Kommunikationsplattformen gesetzlich verankert wird. Das ist neu und bricht mit der bisherigen Systematik des SchulG NRW, da vergleichbare Regelungen sich bisher ausschließlich in den §§ 120 und 121 fanden. Es zeigt aber auch, welchen Stellenwert man der Nutzung digitaler Plattformen einräumt, indem man diese Regelung auf eine Stufe mit Vorgaben zur Unterrichtszeit und Unterrichtsorganisation stellt. Was steckt in diesem Satz 2?

Der Rechtsrahmen

Zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags kann die Schule bereitgestellte Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen in digitaler Form nutzen.

Schulen erhalten die Möglichkeit, digitale Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen zu nutzen, soweit dieses erforderlich ist, um den Bildungs- und Erziehungsauftrags zu erfüllen. Auch wenn dieses eine damit einhergehende Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch die Schule bereits impliziert, erfolgt die bereichsspezifische konkrete datenschutzrechtliche Regelung diesbezüglich erst in den §§ 120 und 121. Die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags beschränkt sich nicht nur auf den Unterricht selbst. Es geht hier laut MSB im Gesetzesentwurf um eine Nutzung “für pädagogisch-didaktische Zwecke, insbesondere für die Gestaltung von Lehr- Lernprozessen, aber auch für schulinterne Verwaltungstätigkeiten sowie interne und externe Kommunikationsprozesse …

Entscheidung der Schule

Zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags kann die Schule bereitgestellte Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen in digitaler Form nutzen.”

Die Entscheidung über die Nutzung digitaler Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags liegt damit bei der Schule. Vor dem Einsatz ist gemäß der ebenfalls neu geschaffenen Regelung in § 65 Abs. 2 Nr. 6 die Schulkonferenz an der Entscheidung über die Einführung einer vom Schulträger vorgeschlagenen Plattform zu beteiligen.5Wie im Gesetzesentwurf angemerkt ist, gilt diese Entscheidungsbefugnis nicht für bereits vor Inkrafttreten des 16. Schulrechtsänderungsgesetzes existierende und genutzte Systeme und Plattformen. (siehe Zu Nummer 22 (§ 65))

(2) Die Schulkonferenz entscheidet im Rahmen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften in folgenden Angelegenheiten:
[…]

6. über den Vorschlag zur Nutzung der vom Schulträger bereitgestellten Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen in digitaler Form (§ 8 Absatz 2),

Im Gesetzesentwurf vom 09.12.2021 heißt es außerdem, “Das Nähere, insbesondere unter welchen Voraussetzungen die Systeme zu nutzen sind, regeln die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen.” Dort wird es dann, sofern noch nicht vorhanden, entsprechende Vorgaben geben.

Digitale Plattformen

Zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags kann die Schule bereitgestellte Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen in digitaler Form nutzen.”

Bezüglich digitaler Medien gab es im Schulgesetz NRW bisher nur eine Rechtsgrundlage für die Nutzung von “digitalen Lehr- und Lernmitteln.”6siehe § 120 Abs. 5 Satz 1, worunter sich beispielsweise digitale Schulbücher fassen lassen. Mit den digitalen “Lehr- und Lernsystemen sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen” erweitern sich die Plattformtypen, in welchen eine Schule zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags personenbezogene Daten verarbeiten darf, auf “informationstechnische Systeme” zu denen laut Erläuterung des MSB im Gesetzesentwurf “insbesondere Lernmanagementsysteme, E-Mail- und Messengerdienste sowie Videokonferenztools” zählen. Das beschreibt ziemlich genau, was die Plattformen der Logineo NRW Familie leisten und entsprechend verweist das MSB im Gesetzesentwurf auch auf diese und stellt ihre Vorteile heraus. In Frage kommen für eine Nutzung im Rahmen von  § 8 Abs. 2 weitere Plattformen, etwa Cloud Plattformen wie NextCloud mit integrierten oder angeschlossenem Office, Schulserver wie ein IServ, Classroom Management Systeme oder auch Lern Apps wie Anton. Auch Systeme für Umfragen und Feedback sollten sich darunter fassen lassen oder Apps wie beispielsweise Schulmanager Online, Sdui und Elternnachricht, digitale Klassenbücher und Stunden- und Vertretungspläne, über welche schulische Organisationsabläufe, wie sie zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags erforderlich sind, abgebildet werden.

§§ 120 und 121 SchulG NRW

Für die in § 8 geschaffene Rechtsgrundlage, welche es Schulen ermöglicht, digitale Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags einzusetzen, werden in § 120 Abs. 5 durch Hinzufügen von Satz 2 bereichsspezifische konkrete datenschutzrechtliche Regelung getroffen7Auch wenn sich hier in Teilen eine Dopplung mit § 8 Satz 2 ergibt, so sind die Regelungen in §§ 120 und 121 an dieser Stelle erforderlich, da diese beiden Paragraphen diejenigen sind, an welchen im SchulG NRW schulischer Datenschutz geregelt ist.:

(5) Die Schule darf für den Einsatz digitaler Lehr- und Lernmittel personenbezogene Daten der Schülerinnen und Schüler und der Eltern verarbeiten, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Schule erforderlich ist. Dies gilt entsprechend für den Einsatz von Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen (§ 8 Absatz 2); in diesem Rahmen sind die Schülerinnen und Schüler zur Nutzung verpflichtet.

In § 121 Abs. 1 wird durch Hinzufügen eines nahezu wortgleichen Satzes 2 entsprechend verfahren:

(1) Daten der Lehrerinnen und Lehrer dürfen von Schulen verarbeitet werden, soweit dies zur Aufgabenerfüllung bei […] der Durchführung des Unterrichts, einschließlich des Einsatzes digitaler Lehr- und Lernmittel, […] erforderlich ist. Dies gilt entsprechend für den Einsatz von Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen (§ 8 Absatz 2); in diesem Rahmen sind die Lehrerinnen und Lehrer zur Nutzung verpflichtet.

Schulen dürfen damit beim Einsatz von digitalen Lehr- und Lernsystemen sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen die personenbezogenen Daten von Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern sowie von Lehrkräften verarbeiten, soweit dieses zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags erforderlich ist. Dieses schließt auch Videokonferenz Plattformen ein. Innerhalb des gesteckten Rahmens sind sowohl Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrkräfte zur Nutzung der genannten Plattformen verpflichtet. Eltern sind von dieser Verpflichtung ausgenommen.

Welche Daten

Die Zulässigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Schülern, Eltern und Lehrkräften erstreckt sich auf die in VO-DV I und II normierten Daten und geht sogar noch über diese hinaus. Digitale Plattformen lassen sich nicht betreiben, ohne dass dabei weitere personenbezogene und -beziehbare Daten anfallen. Diese müssen sich jedoch im Rahmen des technisch Erforderlichen bewegen. Mit §2 Abs. 1 Satz 3 VO-DV I wird dieses klargestellt: “ Beim Einsatz digitaler Lehr- und Lernmittel, digitaler Kommunikationsmittel sowie IT-Infrastrukturen ist die Verarbeitung von Protokolldaten nur zulässig, soweit dies zum Betrieb technisch erforderlich ist.” Für die Verarbeitung von Protokolldaten oder auch Logdaten werden hier zwei Grenzen aufgezeigt. Es dürfen zum Einen nur solche Protokolldaten erhoben werden, die technisch erforderlich sind. Außerdem dürfen die erhobenen Daten nur genutzt werden, soweit dieses technisch erforderlich ist, um die jeweilige Plattform zu betreiben. Gleichsam ist es auch nicht zulässig, diese Daten für andere Zwecke zu nutzen. Protokolldaten dürfen somit nicht genutzt werden, um Aufschlüsse über Nutzerverhalten zu gewinnen.8Eine Ausnahme wäre hier die Kontrolle von Protokolldaten, wenn der Verdacht besteht, dass mit einer Plattform Missbrauch betrieben wird. Dieses setzt jedoch die Erfüllung weiterer Vorgaben voraus.

Welche Plattformen

In den Erläuterungen im Gesetzesentwurf wird noch einmal klargestellt, dass die neuen Regelungen in den §§ 120 und 121 weit gefasst werden: “Dies schließt alle Lehr- und Lernsysteme sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen im Sinne des § 8 Absatz 2 ein, die die Schule zur Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags nutzt.” Auch schon vor Inkrafttreten des 16. Schulrechtsänderungsgesetzes bestehende Plattformen fallen unter die Regelung, sofern sie von einer Schule im Sinne des § 8 Absatz 2 zur Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags genutzt werden.9Siehe dazu auch die Erläuterung zu § 8 Absatz 2 unter der Überschrift “Digitale Plattformen“, wo in Frage kommende Plattformen ausführlicher beschrieben sind.

Keine Einwilligung aber Information

Durch die in den §§ 120 und 121 neu aufgenommenen Sätze verfügen Schulen nun über eine konkrete Rechtsgrundlage, welche ihnen die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in digitalen Lehr- und Lernsystemen sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen wie dort beschrieben erlaubt und Schüler wie auch Lehrkräfte sogar zur Nutzung verpflichtet. Eine Einwilligung ist hierfür somit nicht erforderlich. Es besteht jedoch weiterhin eine Informationspflicht gem. Art. 13 DS-GVO.

Ganz konkret bedeutet dieses, dass weder von Schülern noch von Eltern oder Lehrkräften eine Einwilligung eingeholt werden muss, wenn eine Schule beispielsweise eine Videokonferenz Plattform wie Jitsi für die Durchführung von Unterricht oder von Beratungsgesprächen mit Eltern nutzt.

Videokonferenz Plattform

Im Verlauf der Pandemie war vor allem strittig, ob Lehrkräfte zur Erteilung von Distanzunterricht per Videokonferenz verpflichtet werden konnten und dieses mit eingeschalteter Videokamera. Genau diesem Umstand dürfte die ausdrückliche Erwähnung von “Videokonfenzsystemen” geschuldet sein. Das Land NRW legt damit fest, dass sich die Zulässigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Schülern, Eltern und Lehrkräften zur Aufgabenerfüllung und bei Lehrkräften außerdem zur Durchführung von Unterricht auch auf die Nutzung von Videokonferenz Plattformen erstreckt. Welche weitreichenden Möglichkeiten sich dadurch für Schulen ergeben, erläutert das MSB im Gesetzesentwurf: “Ebenso besteht die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler, die nicht an Präsenzunterricht teilnehmen können (z.B. Quarantäne, Wechsel von Präsenz- und Distanzphasen, Krankheit etc.) am Unterricht vor Ort „zuzuschalten“ und somit am Unterricht teilhaben zu lassen.” Anders als bisher braucht es dafür von den Schülerinnen und Schülern im Klassenraum keine Einwilligung mehr. Gleiches gilt auch für die Durchführung von Konferenzen in Form von Videokonferenzen.

Videokamera an – aus?

Neben den Möglichkeiten, Videokonferenz Plattformen im Unterricht einzusetzen werden im Gesetzesentwurf auch die Grenzen beschrieben: “Zulässig ist der Einsatz von Videokonferenzsystemen nur, wenn dies zur Erfüllung des Bildungsauftrags erforderlich ist. Die Erforderlichkeit liegt vor, wenn dies zur Sicherung des konkreten Unterrichtsgeschehens oder aus anderen pädagogisch-didaktischen Gründen gegeben ist.” Werden Schülerinnen und Schüler, die nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können, dem Unterricht zugeschaltet, so dürfte es in der Regel nicht erforderlich sein, dass dabei permanent Ton und/oder Kamera eingeschaltet sind, weder im Klassenraum, noch auf Seiten der Schülerinnen und Schüler. Eine Erforderlichkeit, Kamera und Ton im Klassenraum aus pädagogisch-didaktischen Gründen einzuschalten, ist aber in dem Moment gegeben, in welchem die Lehrkraft oder Schülerinnen und Schüler im Klassenraum etwas vorführen oder ein Unterrichtsgespräch in der Lerngruppe stattfindet.

Mit dem Satz “Die Verpflichtung der Schülerinnen und Schüler zum Einsatz von Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen und zur Nutzung von Videokonferenzsystemen mit Einschalten von Ton und Bild besteht in dem durch § 8 Absatz 2 gesetzten Rahmen.” der entsprechend auch für  Lehrkräfte gilt, wird im Kommentar zum Gesetzesentwurf noch einmal ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Verpflichtung, Ton und Bild einzuschalten, sich in dem durch § 8 Absatz 2 gesetzten Rahmen bewegen muss. Sie ist somit nur möglich, sofern dieses zur Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages erforderlich ist.

Das lässt Interpretationsspielraum, denn nicht jeder, ob Schüler oder Lehrkraft, wird je nach Situation eine Erforderlichkeit anerkennen.

Nutzung nur im im zulässigen Umfang

Auch wenn dieser Punkt aus den Änderungen im SchulG nicht unmittelbar hervorgeht, soll er hier erwähnt werden, denn er geht auf eine Forderung der LDI NRW in der Schrift Pandemie und Schule zurück. Wenn eine Verpflichtung zur Nutzung besteht, muss zu Schutz aller Beteiligten “gewährleistet sein, dass alle Betroffenen die digitalen Module nur im zulässigen Umfang nutzen können. Dieses wird durch technische und organisatorische Maßnahmen geregelt, etwa entsprechende Voreinstellungen in der Plattform und gegebenenfalls Nutzungs- bzw. Dienstvereinbarungen.” Dieses ist erforderlich, um beispielsweise Cyberbullying oder unbefugte Mitschnitte von Videokonferenzen zu verhindern und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen zu können, sollte es zu unzulässigen Nutzungen kommen.

Grenzen der Verpflichtung

Auch wenn durch die Änderungen im Schulgesetz NRW die rechtlichen Grundlagen für eine verpflichtende Nutzung von digitalen Plattformen und die dafür erforderliche Verarbeitung von personenbezogenen Daten geschaffen worden sind und sich dadurch für Schulen neue Perspektiven die Gestaltung von Unterricht wie auch die Abbildung von Verwaltungstätigkeiten eröffnen, so sind diesen neuen Möglichkeiten Grenzen gesetzt. Einige davon sind durch die neuen Regelungen selbst bedingt, andere hängen mit externen Faktoren zusammen, die in Zukunft wegfallen könnten.

Nicht für Eltern

Eine Grenze beschreibt § 120 Abs. 5 Satz 2 selbst, indem die Verpflichtung zur Nutzung nur für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte vorgegeben wird, nicht jedoch für Eltern. Bezüglich der Eltern heißt dieses, Schulen können deren Daten bei der Nutzung von digitalen Lehr- und Lernsystemen sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenz Plattformen ohne Einwilligung nutzen, die Eltern aber nicht zur Nutzung verpflichten. Damit können Schulen in infrage kommenden Plattformen beispielsweise Konten für die Eltern anlegen und den Eltern eine Nutzung anbieten. Diese sind jedoch nicht verpflichtet, diese Plattformen auch zu nutzen. In einem solchen Fall müssten sie aber mit Anlegen eines Kontos immer auch über die Datenverarbeitung gem. Art. 13 DS-GVO informiert werden.

Nutzung im Sinne von § 8 Satz 2

Eine Verpflichtung zur Nutzung eines digitalen Lehr- und Lernsystems oder einer Arbeits- und Kommunikationsplattform einschließlich Videokonferenz Plattform setzt voraus, dass die Nutzung im Sinne von § 8 Satz 2 erfolgt, also zur Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags. Mit Bezug auf den Einsatz von Videokonferenz Plattformen heißt es hierzu im Gesetzesentwurf: “Zulässig ist der Einsatz von Videokonferenzsystemen nur, wenn dies zur Erfüllung des Bildungsauftrags erforderlich ist. Die Erforderlichkeit liegt vor, wenn dies zur Sicherung des konkreten Unterrichtsgeschehens oder aus anderen pädagogisch-didaktischen Gründen gegeben ist.” Für eine über die zur Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags hinausgehende Nutzung sind Schüler wie Lehrkräfte nicht verpflichtet.

Sächliche Voraussetzungen sind gegegeben

Schülerinnen und Schüler können zu einer Nutzung von Lehr- und Lernsystemen sowie Arbeits- und Kommunikationsplattformen, die von der Schule zur Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags eingesetzt werden, nur dann verpflichtet werden, wenn sie auch die Möglichkeit dazu haben. Stehen den Schülerinnen und Schülern ausreichend viele schulische Geräte mit dienstlich zugelassenen Anwendungen zur Verfügung, ist eine verpflichtende Nutzung möglich. Ist dieses nicht der Fall und Schülerinnen und Schüler müssen private Endgeräte nutzen, so kann dieses nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Das MSB stellt im Gesetzesentwurf unter “zu Buchstabe b” ausdrücklich klar: “Eltern bzw. Schülerinnen und Schüler sind schulrechtlich nicht verpflichtet, ein digitales Endgerät für den Unterricht anzuschaffen oder einzusetzen.” Gleiches gilt auch für Lehrkräfte. Auch sie sind nicht zur Nutzung von privaten Endgeräten verpflichtet. Eine verpflichtende Nutzung setzt entsprechend bei Lehrkräften ein Dienstgerät mit dienstlich zugelassenen Anwendungen voraus.

Keine Einwilligung oder Freiwilligkeit vorgeschrieben

Eine verpflichtende Nutzung ist nicht möglich, wenn eine Einwilligung in die Datenverarbeitung bei der Nutzung einer Plattform zwingend vorgeschrieben ist. Dieses ist bei den Produkten der Logineo NRW Familie jedoch der Fall. Es kommt hinzu, dass die Freiwilligkeit der Nutzung auch in einer Dienstvereinbarung mit den Hauptpersonalräten (Stand 21.10.2020) vereinbart wurde10Hinweis: Es gibt genau genommen zwei Dienstvereinbarungen, da die Hauptpersonalräte sich der Dienstvereinbarung der anderen Schulformen nicht anschließen wollten.: “Die Nutzung von LOGINEO NRW ist freiwillig und setzt eine Einwilligungserklärung der jeweiligen Nutzerin oder des jeweiligen Nutzers bzw. deren oder dessen gesetzlicher Vertretung voraus.” In der Logineo NRW Rahmendienstnutzungsordnung mit Datum vom 28.01.2021 heißt es unter Gegenstand und Geltungsbereich “Die Nutzung von LOGINEO NRW ist freiwillig. Die Einwilligung kann im Rahmen der Aktivierung des individuellen Nutzeraccounts bei Erstanmeldung am System erteilt werden.” und unter 6. Nutzung des LOGINEO NRW Messengers und des VideokonferenztoolsDie anlassbezogene Nutzung des im LOGINEO NRW Messengers enthaltenen Videokonferenztools ist freiwillig. Es obliegt den einzelnen Nutzerinnen und Nutzern sich an einer Videokonferenz zu beteiligen. Insbesondere das Einschalten der Kamerafunktion ist nicht verpflichtend.”

Im Fall von Logineo NRW ist eine verpflichtende Nutzung von daher solange ausgeschlossen, wie die Dienstvereinbarungen wie auch die zugehörige Rahmendienstnutzungsordnungen in der aktuellen Form gelten.

Es ist auch nicht rechtmäßig, wie aus zumindest einer Bezirksregierung im Verlauf der Pandemie zu hören war, Lehrkräfte zur Einwilligung dienstlich anzuweisen, um sie damit zur Nutzung einer Videokonferenz Plattform zur Erteilung von Unterricht zu verpflichten. Eine Einwilligung setzt immer die Freiwilligkeit voraus. Ohne ist sie nicht rechtswirksam.

Im Sinne des SchulG NRW und DS-GVO genutzte Plattform

Die LDI NRW hat sich in der Schrift Pandemie und Schule (Stand 12.05.2021) auch zur verpflichtenden Nutzung von schulischen Plattformen auf der Grundlage der bis dahin bestehenden Regelungen des SchulG NRW11dort bezeichnet als “dieser Ansatz” geäußert. “Dabei ist zum einen zu beachten, dass dieser Ansatz nur zum Tragen kommen kann, soweit die Verarbeitung der hierfür erforderlichen Daten entsprechend den gesetzlichen Vorschriften im Verantwortungsbereich der Schule erfolgt, d.h. sie selbst die Daten verarbeitet oder durch Regelungen in einem Auftragsverarbeitungsvertrag sichergestellt ist, dass sie „Herrin der Daten“ ist.” In Frage kommen damit nur Plattformen im Sinne von § 8 Abs. 2, welche die Schule entweder selbst betreibt, oder welche sie durch den Schulträger oder einen Dienstleister auf der Grundlage eines Vertrags zur Auftragsverarbeitung gem. Art. 28 DS-GVO bereitstellen lässt. Außerdem sind, wie die LDI NRW beschreibt, weitere Anforderungen der DS-GVO zu erfüllen: “Gerade wenn eine Nutzung jedoch verpflichtend erfolgen soll, muss gewährleistet sein, dass die digitalen Module selbst den datenschutzrechtlichen Anforderungen insbesondere aus Art. 5, 24, 25 und 32 DS-GVO genügen  ….

Fazit

Eine verpflichtende Nutzung von digitalen Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen ist nur möglich, wenn die Schule diese

  • zur Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags nutzt, und
  • allen Schülerinnen und Schülern der Lerngruppe ein von der Schule bereitgestelltes digitales Endgerät einschließlich der erforderlichen Anwendungen zur Verfügung steht, und
  • es sich um eine Plattform handelt, die nach Februar 2022 auf der Grundlage von § 8 Satz 2 SchulG NRW eingeführt wurde, oder deren Einführung vor Februar 2022 im Sinne von § 8 Satz 2 erfolgte, und
  • die Plattform die Vorgaben des SchulG NRW und der DS-GVO erfüllt, und
  • die Plattform keine Einwilligung oder Freiwilligkeit der Nutzung vorschreibt.

Über die eingesetzten digitalen Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen entscheidet die Schule. Unter welchen Voraussetzungen die Systeme zu nutzen sind, regeln die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen.

Schulen dürfen die personenbezogenen Daten von Schülern und Lehrkräften bei der Nutzung digitalen Lehr- und Lernsystemen und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen auf der Grundlage des SchulG NRW verarbeiten, wodurch die Erfordernis zu einer Einwilligung entfällt. Die Verpflichtung Betroffene über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten gem. Art. 13 DS-GVO zu informieren besteht allerdings weiterhin.

Auch wenn digitale Lehr- und Lernsysteme und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsystemen ohne Verpflichtung genutzt werden, etwa weil Schülerinnen und Schüler private Endgeräte auf freiwilliger Basis nutzen, bedarf es dazu keiner Einwilligung, da auch diese Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch die neuen Regelungen abgedeckt sind.

Geht die Nutzung digitaler Lehr- und Lernsysteme und Arbeits- und Kommunikationsplattformen einschließlich Videokonferenzsysteme über die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages hinaus, so setzt die dafür erforderliche Verarbeitung von personenbezogenen Daten eine Einwilligung der Betroffenen voraus.

Und außerdem

Mit den Neuerungen in den §§ 120 und 121 besteht nun die Möglichkeit, die personenbezogenen Daten von Schülern und Lehrkräften auch beim Einsatz von Videokonferenzsystemen zu verarbeiten. Die Aufzeichnung von Videokonferenzen ist auf dieser Rechtsgrundlage jedoch nicht möglich. Hier gelten weiterhin § 120 Abs. 6 bzw. § 121 Abs. 1 Satz 3, wonach “Bild- und Tonaufzeichnungen des Unterrichts oder sonstiger verbindlicher Schulveranstaltungen […] der Einwilligung der betroffenen Personen.” bedürfen.

Fragen und Antworten zur Umsetzung der neuen Regelungen

Was die neuen Regelungen für die Praxis bedeuten, wird in den folgenden FAQ näher betrachtet.

FAQ – Einsatz von digitalen Plattformen ab März 2022

Stand 03/2022